Dieses Kleinod der süditalienischen Spitzengastronomie hält sich gut versteckt zwischen teils winzigen Ladenlokalen, die sich gegenüber dem S-Bahnhof Charlottenburg eng aneinanderreihen. Eine rote Markise mit der Aufschrift „Focaccino – Sicilia in Bocca“ weist schließlich den Weg. Der erste Teil des Namens stammt noch aus den Anfangszeiten, in denen hier vor allem Focaccias, gewürzte Pizzabrote also, das Angebot dominierten. Doch mit der Zeit hat Riccardo Puglisi sein kulinarisches Spektrum erweitert. Dies erklärt auch, warum der ursprüngliche Name um die klangvollen Worte „Sicilia in Bocca“ ergänzt wurde. „Hinter dem Namen, der so viel bedeutet wie Sizilien im Mund, verbirgt sich eine Philosophie“, erklärt Puglisi, der vor rund zehn Jahren als Gastronom an den Stuttgarter Platz gekommen ist. Was er damit meint? „Ich bemühe mich, meine Speisen so original wie möglich zuzubereiten.“ Und er ergänzt: „Die sizilianische Küche ist vor allem von der Frische und Qualität ihrer Zutaten geprägt. Dazu zählen all die üppigen Schätze, die unsere Insel zu bieten hat. Vor allem Fisch und Meeresfrüchte, typische Gemüsesorten, mediterrane Gewürze, ebenso wie erstklassiges Olivenöl.“ Doch das gewisse Etwas der sizilianischen Küche hat noch einen weiteren Ursprung. Aufgrund seiner geographischen Lage war die größte Insel des Mittelmeeres von Jeher blühender Stützpunkt für Seefahrt und Handel. Puglisi: „Ganz gleich, ob Griechen, Türken, Araber - sie alle haben hier auch ihre kulinarischen Spuren hinterlassen.“ Ein gutes  Beispiel für die Vielfalt der Einflüsse ist die aus Auberginen und Tomaten bestehende Caponata. Sie kommt nicht ohne Pinienkerne, Pistazien, Rosinen und Kapern aus – sämtlich Hinterlassenschaften der arabischen Kochkunst. Auf seine ganz eigene Interpretation des süß- sauren Gemüsegerichts ist Puglisi besonders stolz: „Ich denke, dass meine Caponata zu den besten Berlins gehört.“ Auf der kleinen, sehr gewählten Speisekarte verliert man nicht den Überblick. Hier, oder wahlweise auch auf dem wöchentlich wechselnden Menü, findet sich etwa hausgemachte Pasta Vongole – die Muscheln liegen in einem dampfend heißen Sud aus Knoblauch und frischen Kräutern, oder die vegetarische Nudel-Variante alla Norma – ihr fruchtig-herber Geschmack entführt in den sizilianischen Himmel auf Erden. Und natürlich frischer Fisch, stets in Kombination mit fein gewürztem Gemüse oder knackigem Salat. Zu den wenigen Fleischgerichten zählt auch ein Kalbsschnitzel. Nach Einschätzung zahlreicher Gäste das köstlichste seiner Art weit und breit. Riccardo Puglisi lächelt, während der den Ursprung seiner sizilianischen Variante mit dem bezeichnenden Namen „Cotelett alla Mama“ erläutert: „Meine Mutter hat es oft an Sonntagen für unsere Großfamilie zubereitet. Ich habe ihr dabei über die Schulter gesehen.“ Den einzigartigen Geschmack erklärt er so: „Hochwertiges Fleisch ist das Eine. Aber der Pfiff in der Panade kommt durch Extras wie Petersilie, Knoblauch, viel Pfeffer und kräftiger Parmesankäse.“ Die Ingredienzien für seine Gerichte sucht der leidenschaftliche Gastgeber stets selber aus. Von Lieferservices oder Direktimporten aus Italien hält er wenig. Auch gefrorenes ist in seiner Küche ein No Go. Ganz gleich, ob Fisch, Fleisch oder Gemüse – Puglisi verlässt sich lieber auf seinen eigenen Riecher. Jeden Tag fährt der 51 jährige in der Mittagszeit zum Großmarkt und selektiert akribisch, was gut genug ist um in seine Töpfe und Pfannen zu gelangen. Bis es soweit ist, hat er am Morgen bereits seinen dreijährigen Sohn in den Kindergarten gebracht, ein Sportprogramm absolviert und Büro-Arbeiten erledigt. Mit den frisch erworbenen Waren geht es vom Großmarkt aus direkt ins Restaurant. Hier wirbelt er dann mit sechs Mitarbeitern, ehe sich am Abend die Türe für die Gäste öffnen. „Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht selber da bin“, bekennt er voller Überzeugung. Oft sind seine gemütlichen Räumlichkeiten, die lediglich bis zu 45 Plätze bieten, lange vorher ausgebucht. Stolz schildert Puglisi, dass er es ganz ohne Werbung bei den Online-Bewertungsportalen zum wiederholten Male unter die Top 5 sämtliche italienische Restaurants in Berlin geschafft hat. Doch was ist es, was das unauffällige Ristorante so berühmt gemacht hat? „In jedem Teller, der die Küche verlässt, steckt ein Teil meiner Seele“, offenbart Puglisi. „Mich macht es glücklich, wenn meine Gäste mit Lust und Laune essen und trinken.“ Zu seinem Stammpublikum zählt auch Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Doch wer ihn kennen lernt, wundert sich nicht, dass der dezente Patron keine Namen nennen will. Bei all der Schwärmerei für seine Küche dürfen auch die Weine nicht unerwähnt bleiben. Besonders typisch sind rote und weiße Reben, die in Höhenlagen am Ätna wachsen. „Diese Reben sind extremen Temperaturschwankungen ausgesetzt. In Kombination mit der mineralhaltigen Vulkanerde erhält der Wein eine ganz besondere Note. Das macht ihn so interessant.“ Sein spezielles Händchen, nicht nur für Kulinarik sondern auch für Wohlfühl-Atmosphäre, hat der gastronomische Quereinsteiger sich bereits in den Jahren vor der Restaurant-Eröffnung angeeignet. Als jüngster Spross machte er als einziger von neun Geschwistern Abituren in seiner Heimat, folgte 1990 die große Lebensentscheidung: Berlin! In Deutschland angekommen, blieb er dennoch seinen Wurzeln treu. Er vertrieb Textilien, wie Kellnerwesten und Tischdecken, speziell für italienische Restaurants. Später eröffnete er eine Wäscherei, ebenfalls für die Gastronomen seines Heimatlandes. Diese Berührungspunkte gaben ihm letztlich den Schwung, den er brauchte: „Ich habe viele Restaurant-Konzepte gesehen. Dabei schärfte sich mein Blick für die Schwächen und Stärken. Irgendwann wurde mir klar, dass ich es selber versuchen möchte.“ Eine wunderbare Entscheidung!